Eine wie keine – Helga Malischewski

SPW-Bericht vom 19.07.2024: Kommunalpolitik – Den Ulmer Gemeinderat ohne Helga Malischewski: Das gibt es seit 40 Jahren nicht. Jetzt nimmt die dienstälteste Stadträtin ihren Hut oder besser: ihre Hüte. Von Chirin Kolb

Kein Zweifel: Helga Malischewski ist eine der bekanntesten Ulmerinnen. Ihre elegante Erscheinung und vor allem ihr stets zum Outfit passender Hut sind ein Hingucker auf vielen Veranstaltungen. Auf wirklich vielen. Die Stadträtin ist ständig unterwegs, nahezu überall präsent. Das wird nun weniger werden. Mit 82 Jahren hört Helga Malischewski auf. Die dienstälteste Stadträtin, angetreten für die Wiblinger Wählergemeinschaft, hat nach 40 Jahren nicht mehr kandidiert.

Sie hat ihr Amt stets so verstanden: Stadträtin ist man nicht nur im Ratssaal. „Präsenz, Präsenz! Das ist wichtig“, sagt sie. Der Kontakt zu den Menschen, Gespräche darüber, wo der Schuh drückt, sich ein Bild machen und, ja, auch repräsentieren. Oft hatte Helga Malischewski zwei, drei Termine pro Tag: Sitzungen, Eröffnungen, Feste, Vorträge, Rundgänge, Info-Abende für die Bürgerschaft und, und, und. Darüber hinaus war die Stadträtin in 16 Gremien vertreten: in Ausschüssen des Gemeinderats, Aufsichtsräten, Kommissionen, Verbänden und Beiräten. Zusätzlich organisierte sie zusammen mit ihrem Fraktionskollegen Gerhard Bühler 27 Jahre lang die Reihe der Paradekonzerte auf dem Marktplatz.

Die ersten zwei Jahre im Gemeinderat habe ich nichts geschwätzt, nur zugehört. Mir war ja alles fremd.

Zwei Dinge gehören für Helga Malischewski untrennbar zur Arbeit im Gemeinderat: Disziplin und Menschenfreundlichkeit. „Man muss die Menschen mögen“, sagt sie. „Man muss sich ihr Vertrauen erwerben.“ Und Disziplin? Dazu zählt sie nicht nur die vielen Termine, zu denen man sich durchaus mal aufraffen muss, sondern auch Pünktlichkeit, Anstand, Respekt im Umgang. Ihren Kolleginnen und Kollegen empfahl sie schon mal: „Zieht euch anständig an.“ Überhaupt redet Helga Malischewski Klartext, wenn ihr etwas gegen den Strich geht.  „Aber immer sachlich, nie persönlich!“

Disziplin, lange Tage gefüllt mit Arbeit: Das kennt die Wiblingerin gar nicht anders. Das war schon früher so, als sie, die gelernte Bürokauffrau, mit ihrem Mann Joe die Schlachthof-Gastronomie im Donautal betrieb. Oben die Wohnung, unten das Lokal. Zwei Wirte hatten Pleite gemacht, und einige unkten: Die Malischewskis würden die dritten sein. Waren sie nicht. Der „Schlachthof“ wurde zum beliebten Gasthof, und das Wirtsehepaar eine feste Größe in Ulm. Zumal Joe Malischewski als langjähriger Präsident der Großen Karnevalsgesellschaft ein prägendes Gesicht in einer ansonsten ziemlich faschingsfeindlichen Stadt war. Und dass auch seine Frau Humor hat, bewies sie nicht zuletzt bei Büttenreden für den guten Zweck: Jahrelang trat sie beim Büttenabend der Aktion 100.000 auf, als Politesse, Oberschwester oder Rathaus-Putzfrau.

Joe Malischewski, 18 Jahre älter als seine Ehefrau, starb 2005. 41 Jahre lang waren sie verheiratet, haben eine Tochter. Auch wenn die Malischewskis privat und beruflich ein Team waren: „Er hat mir immer meine Freiheit gelassen.“ In ihrer Gemeinderatstätigkeit und in ihren Entscheidungen, die nicht unbedingt auch seiner Meinung entsprachen. Wie beim Bau des in Ulm höchst umstrittenen Stadthauses zum Beispiel. Die FWG-Stadträtin stimmte für das Projekt, ihr Ehemann war ein entschiedener Gegner. „Er hat gesagt: Da setze ich nie einen Fuß rein. Und das hat er auch nie gemacht.“

1984 kam sie zur Kommunalpolitik. Oder besser: wurde zur Kommunalpolitik gebracht. Udo Botzenhart, die große Figur der Freien Wähler, sagte zur Schlachthof-Wirtin: „Sie müssen in den Gemeinderat.“ So erzählt sie es, und auch, dass sie erst nicht wollte. „Ich habe gesagt: Ich arbeite jeden Tag 15 Stunden, ich habe keine Zeit dafür.“ Botzenhart gab nicht nach, Helga Malischewski kandidierte für die WWG und wurde prompt gewählt. In den Wahlkampf zog die 42-Jährige mit ihrem Foto auf einem Bierdeckel. „Mehr Frauen müssen mitreden“, hieß es da. Frauenpolitik war allerdings nie ihre Sache, die organisierte Frauenpolitik schon gar nicht. Sie fand immer: Frauen müssen einfach für sich und ihre Anliegen einstehen. Dass sie auch eine fürsorgliche Art hat, ist kein Widerspruch. In den wöchentlichen Sitzungen der FWG-Fraktion, deren Geschäftsführerin sie lange war, sorgte sie für die Verpflegung, und im Gemeinderat ist sie für viele so etwas wie die Mutter der Kompanie.

In diese Rolle wuchs sie erst hinein. Anfangs prägten andere die FWG-Fraktion, allen voran Botzenhart. „Die ersten zwei Jahre habe ich nichts geschwätzt, nur zugehört“, erinnert sich Helga Malischewski. „Mir war ja alles fremd.“ Wer sie kennt, weiß: Neulinge, die gleich das große Wort führen, sind ihr äußerst suspekt.

Im Gemeinderat setzte sie sich ein für Sauberkeit in der Stadt, fürs Theater und das B-Orchester, sparsames Wirtschaften, den Bau des Müllheizkraftwerks im Donautal, auch wenn die meisten Wiblinger dagegen waren. Für diesen Stadtteil verkämpfte sie sich, selbst wenn es nur um einen ihr allzu dürr erscheinenden Weihnachtsbaum ging, den sie ausgetauscht haben wollte – erfolgreich. Dass Wiblingen bei vielen ein schlechtes Image hat, ärgert sie. „Was glaubt ihr eigentlich?“, fuhr sie mal Kollegen an. „In Wiblingen wohnen doch nicht 16.000 Asoziale!“ Sie selbst lebt seit 2001 mit Begeisterung in einer Wohnung am Tannenplatz.

Es war ihr eine Ehre

Als dienstälteste Stadträtin hat sie zwei Oberbürgermeister vereidigt, 2016 Gunter Czisch und 2024 Martin Ansbacher, „eine große Ehre“. Auch die Bundeswehr liegt ihr am Herzen: „Die Menschen, die für unseren Staat einstehen, muss man wertschätzen.“ Deshalb hat die Kommando-Medaille des II. Korps, die ihr 2003 verliehen wurde, für sie mindestens so große Bedeutung wie das Bundesverdienstkreuz, das sie 2001 erhalten hat.

Ein paar Ehrungen folgen noch in den nächsten Wochen. Dann wird es ruhiger für Helga Malischewski. Was sie mit der ungewohnten freien Zeit anfangen wird, weiß sie noch nicht recht. „Ich habe keinen Plan B.“ Ein selbst gewählter Abschied aus der Kommunalpolitik war ihr wichtig, und zunächst will sie alles, was sich in 40 Jahren angesammelt hat, sortieren, ausmisten, ordnen. Wegschmeißen, das liegt ihr nicht. Und so trennt sie sich auch weder von Kleidern – „die lasse ich ändern“ – noch von Hüten. Wie viele es sind, weiß sie gar nicht. Nur bleiben sie künftig wohl öfter im Schrank.

Was Weggefährten und Kollegen über Helga Malischewski sagen

Ivo Gönner, Alt-OB: Helga Malischewski war eine unerschrockene Interessenvertreterin der Bürgerinnen und Bürger, geradeaus, aber immer an der Sache orientiert und immer mit Leidenschaft.

Lena Schwelling, Grünen-Stadträtin: Helga Malischewski gehört zu Ulm wie das Münster oder die Donau. Sie ist eine beeindruckende Persönlichkeit, von der man viel lernen kann: Zu einer Zeit, in der Frauen in der Politik keine Selbstverständlichkeit waren und in einer Fraktion, in der sie es bis heute nicht sind, hat Helga sich mit Charme, Raffinesse und Witz durchgesetzt und sich 40 Jahre lang ehrenamtlich um unsere Stadt verdient gemacht. Sie wird dem Gemeinderat und mir ganz persönlich sehr fehlen.

Ralf Milde, FDP-Stadtrat: Als ich 2014 die FWG-Fraktion verlassen habe und zur FDP gewechselt bin, hat Helga Malischewski das Türschloss zum Fraktionszimmer austauschen lassen. Das fand ich schon arg heftig. Aber mittlerweile sind wir ein Herz und eine Seele. Wir führen eine perfekte Gemeinderatsbeziehung.

Gerhard Bühler, ehemaliger FWG-Stadtrat: Zur Bundesverdienstkreuz-Verleihung habe ich sie in vier Felder eingeteilt: willensstark, sachlich, kollegial und harmoniebedürftig. „In dieser Stadt muss sich etwas bewegen“, ist ein immerwährender Satz von ihr. Sie war und ist landesweit das Gesicht der Freien Wähler, engagiert und einfach Königin Mutter der Freien Wähler und darüber hinaus. Und natürlich immer bei den Wichtigen dabei!

40 Jahre Helga Malischewski im Ulmer Gemeinderat In diesen Zeilen erzählt Sie selbst, was Ihr besonders in Erinnerung geblieben ist!

 


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